15. Juli 2025

Kunststoff rettet Leben

Was wäre, wenn wir von heute auf morgen allen Kunststoff aus der Welt verbannen würden? Teil 3 unserer Serie „Eine Welt ohne Kunststoff“: Medizin und Gesundheit.

picture shows a doctor during a surgery

Niemand wünscht sich zurück

Es glänzt und klimpert. Glasflaschen, Keramikdosen, Kautschukhandschuhe, Metallbesteck und bizarre Apparate dominieren die Szenerie im kunststofflosen Krankenhaus. Ein Hauch Charité liegt in der Luft, es riecht nach Kampfer. Ganz sauber ist es auch nicht. Keime lauern überall. Zur Sicherheit wird jedes Utensil gleich nach Gebrauch gereinigt, desinfiziert und aufwendig sterilisiert. Man tut, was man kann und was die Technik erlaubt.

Das historische Ambiente weckt wohl kaum nostalgische Gefühle. Wenn es um die eigene Gesundheit und die der Liebsten geht, wünscht sich niemand zurück in die Vergangenheit. Gegenwart und Zukunft ohne Kunststoff sind in der Medizin schwer vorstellbar. Mangels alternativer Wundermaterialien gibt es kein utopisches Potenzial. Die Medizin müsste mit dem rustikalen Instrumentarium des frühen 20. Jahrhunderts hantieren. Das tut richtig weh.

Lebensverlängerung und Lebensqualität

Der Verzicht auf das synthetische Allzweck-Material Kunststoff schränkt die Möglichkeiten massiv ein. Bei der Behandlung genauso wie bei der Diagnose. Bestes Beispiel ist die Medizintechnik. Jedes wichtige Gerät setzt sich aus zahlreichen Kunststoffkomponenten zusammen – von der Elektronik bis zum Gehäuse. Defibrillator, Ultraschallsystem, Computertomograph, Magensonde, Endoskop, Dialyse- und Beatmungsgerät und so weiter.

Kunststoffe sind leicht, formbar, flexibel, stabil, leistbar und einfach sterilisierbar. Sie sind gut verträglich, physiologisch unbedenklich und widerstandsfähig. Die Materialien sind die Basis für den technologischen Aufbruch und eine flächendeckende Gesundheitsversorgung. Ohne Kunststoff gäbe es kein modernes medizinisches Equipment, keine Intensivstationen und keine Maßnahmen wie künstliche Herzklappen, Stents oder Herzschrittmacher. Kompakte Hörgeräte, Prothesen, Implantate und künstliche Gelenke sind ebenfalls undenkbar.

Sicherheit und Effizienz im Alltag

Steril verpackte Spritzen, Katheter, Blutbeutel, Infusionsbesteck, Schläuche und Kanülen aus Kunststoff retten täglich Leben und erleichtern es dem chronisch überbelasteten Personal. Dasselbe gilt für Schutzbekleidung wie Gummi-Handschuhe, Masken oder OP-Kittel. Die Einweg-Produkte schützen bestmöglich vor Kontamination und sind in großer Zahl weltweit schnell und günstig verfügbar. Mindestens genauso wichtig für die Gesundheitsversorgung sind sichere Verpackungslösungen für flüssige oder feststoffliche Medikamente. Manche Instrumente und Produkte könnten zur Not auch aus Glas, Metall, Kautschuk oder Stoff gefertigt werden – mit Abstrichen bei Hygiene, Haltbarkeit, Flexibilität und zu hohen Preisen. Medizin als Luxusgut für reiche Staaten? Das wünscht sich bestimmt niemand.

Abfallreduktion, Kreislaufwirtschaft und biologisch abbaubare Kunststoffe

Kunststoff hat das Medizin- und Gesundheitswesen revolutioniert. Das Material schafft aber auch Probleme: Es verursacht viel Abfall und verbraucht fossile Ressourcen. Wohin mit den gebrauchten Einwegprodukten? Für sensible Gegenstände, die mit PatientInnen in Berührung kamen, bleibt nur die thermische Verwertung. Es muss aber nicht immer Einweg sein. Großes Potenzial schlummert in der Wiederverwendung bestimmter Produkte sowie im Recycling. Durch die Trennung und Entsorgung gebrauchter Verpackungen sowie Rücknahmesysteme können Gesundheitsbetriebe ihren CO2-Fußabdruck erheblich senken. Gleichzeitig sichert sich die Industrie wertvolle Ressourcen für die Wiederverwertung.

Die Hersteller sind ebenfalls in der Pflicht. Sie müssen ihre Produkte fürs Recycling konstruieren und den Materialeinsatz minimieren. Design for Recycling spielt auch in der Medizintechnik und Pharmabranche eine wichtige Rolle. Chancen auf mehr Nachhaltigkeit bieten künftig biobasierte und biologische abbaubare Kunststoffe. Verbesserte Kunststoffe sollen zudem problematische Stoffe wie Weichmacher und Ewigkeitschemikalien verbannen. Bei Kunststoffen ist nichts unmöglich. Genau das zeichnet den Werkstoff aus.

Perspektivenwechsel: Externe Expertise

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Dr. Sara Fontain von der Abteilung Anästhesie und Intensivmedizin im Landeskrankenhaus Feldkirch über Kunststoffe im Gesundheitswesen.

In welchen medizinischen Bereichen wäre eine Versorgung ohne Kunststoff aus Ihrer Sicht derzeit gar nicht denkbar?

Eine moderne medizinische Versorgung – insbesondere im Krankenhaus – ist ohne den Einsatz von Kunststoffen derzeit nicht vorstellbar. Kunststoffe finden sich in nahezu allen Bereichen: von medizinischem Verbrauchsmaterial wie Spritzen, Infusionssystemen und Beatmungsschläuchen bis hin zu deren Verpackungen. Auch in Geräten wie PCs, Ultraschall- und CT-Systemen sind Kunststoffkomponenten unverzichtbar. Die Vielfalt und Flexibilität dieses Materials macht es für den klinischen Alltag unerlässlich.

Welche Eigenschaften machen Kunststoff so essenziell für bestimmte Anwendungen?

Kunststoff überzeugt durch seine Vielseitigkeit: Er lässt sich in nahezu jede gewünschte Form bringen, ermöglicht eine sterile Produktion, ist langlebig, leicht und im Vergleich zu anderen Werkstoffen kostengünstig. Diese Kombination aus Funktionalität und Wirtschaftlichkeit macht ihn für viele medizinische Anwendungen alternativlos.

Welche Maßnahmen können Kliniken ergreifen, um Einwegprodukte bewusster zu nutzen, ohne Kompromisse bei Hygiene und Patientensicherheit einzugehen?

Zunächst sollten Einwegprodukte aus Kunststoff grundsätzlich recyclingfähig sein. Derzeit besteht jedoch das Problem, dass es kaum spezialisierte Recyclingwege für medizinische Kunststoffabfälle gibt. Beispielsweise findet bei uns in Vorarlberg die Recyclingfirma Loacker keinen Abnehmer, der medizinische Einwegprodukte aus Kunststoff spezifisch wiederverwerten kann. Viele genormte Einwegprodukte wie Perfusorspritzen könnten theoretisch über die Hersteller wiederverwertet werden, landen aber meist als geschreddertes Material in der Zementindustrie zur Energiegewinnung. Das ist der Unterschied zu gut etablierten Recyclingprozessen wie bei PET-Flaschen aus der Lebensmittelindustrie. Auch bei Verpackungen besteht Optimierungspotenzial. Der Verpackungsanteil bei Einmalprodukten könnte reduziert werden. In Bereichen wie dem OP oder auf Intensivstationen werden häufig Sets verwendet, die mehrere Einwegprodukte enthalten. Eine gezielte und bedarfsorientierte Zusammenstellung dieser Sets würde helfen, unnötig Material zu verbrauchen.

Welche Möglichkeiten gäbe es noch?

Ein weiterer Ansatz liegt im Einsatz wiederverwendbarer Kunststoffprodukte, die sich nach der Nutzung durch Sterilisationsverfahren aufbereiten lassen – etwa bei Perfusorspritzen oder Larynxmasken. So könnten Kliniken gezielt auf nachhaltigere Lösungen setzen, ohne hygienische Standards zu gefährden. Generell gilt: Kunststoff sollte nicht unnötig verbraucht werden. Ressourcenschonende Produktion, bewusste Bedarfsermittlung und möglichst lange Nutzungszyklen sind wichtige Bausteine einer nachhaltigeren Nutzung. Nicht zuletzt liegt auch Verantwortung bei den Herstellern: Wo möglich, sollten biologisch abbaubare Kunststoffe eingesetzt und globale Lösungen für eine sichere Entsorgung oder Wiederverwertung konventioneller Kunststoffe vorangetrieben werden. Denn die Belastung der Umwelt durch Plastik, insbesondere durch Einmalprodukte, ist ein bekanntes und ernstzunehmendes Problem.

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