28. August 2025

Kunststoff macht mobil

Was wäre, wenn wir uns vollständig ohne Kunststoff von A nach B bewegen müssten? Teil 4 unserer Serie „Eine Welt ohne Kunststoff“ widmet sich dem Verkehrs- und Transportwesen.

Traffic in sunlight

Mehr Gewicht, mehr Energieverbrauch

Schwere Zeiten – oder freie Fahrt und guten Flug mit Metall, Stahl, Glas, Holz, Stoff und Leder. Ganz ohne Kunststoff werden Verkehrsmittel wieder rustikale Blechschüsseln. Das mag vielleicht nostalgische Gefühle wecken, wirkt sich aber negativ auf die Umwelt, das Wohlbefinden und den Bewegungsradius aus. Die ästhetischen Qualitäten des beinahe grenzenlos formbaren Materials für die Designabteilungen lassen wir mal außen vor.

Ob Auto, Motorrad, Lastwagen, Schiffe, Flugzeug oder Raumschiff: Mehr Gewicht bedeutet mehr Energieverbrauch. Das schadet dem Klima und dem Kontostand. Verbrenner-Aus hin oder her: Ohne thermisch belastbare und chemisch beständige Hochleistungskunststoffe ist auch die E-Mobilität nur eine Fantasie. Zurück zur Natur heißt es beim Gummi. Weil sich Kautschuk-Reifen ohne Elastomere schnell abnutzen – beim SUV genauso wie beim Lastenrad – muss für den Anbau am Äquator noch mehr Regenwald weichen.

Sicherheitsverlust

Gefährlich für Leib und Leben ist der Verzicht auf Airbag, Kindersitz und elektronische Helferlein wie Kameras und Assistenzsysteme. Sicherheitsgurte aus Stoff sind immerhin vorstellbar. Bei der Knautschzone wird es eng. Stoßstangen aus elastischem Kunststoff dämpfen den Aufprall. Das ist im Kollisionsfall gut für beide Seiten, wie ein Blick in die Unfallstatistik zeigt. Seit der Einführung von Kunststoffen in der Automobilindustrie sinkt die Zahl der Verkehrstoten – bei immer mehr zugelassenen Verkehrsmitteln.

Soll das kunststofflose Fahr- oder Flugzeug annähernd die gewohnten Sicherheitsstandards erfüllen, muss kräftig investiert werden. Das macht den privaten Pkw zum Luxusgut. Weil der Materialverzicht auch den öffentlichen Verkehr betrifft, wird die Fahrt mit Bus, (U-)Bahn und Tram ungemütlicher und teurer. Reisen muss man sich wieder leisten können. Jetzt mögen einige einwenden, dass weniger Verkehr das Klima und die Umwelt schont. Die Kehrseite der Medaille: Wenn die Welt begrenzter wird und die Wege länger werden, schrumpft unser Horizont und das Wohlstandsniveau sinkt.

Effizienter Warenverkehr 

Beim Warentransport per Schiene, Lkw, Schiff und Flugzeug steigen die Kosten ohne Kunststoff ebenso – und das liegt nicht nur an der erschwerten Mobilität. Zwei Beispiele zeigen, warum. Big Bags fassen bis zu 2000 Liter Schüttgut. Die robusten Kunststoffsäcke sind leicht handhabbar und vielseitig verwendbar. So sparen sie Arbeitszeit. Lkws bewahren die Waren mit Kunststoff-Planen. Alternativen aus Segeltuch schützen nicht gleich gut und lange vor Regen, Hitze oder Frost. Höherer Verschleiß wirkt sich auf den Preis der Ware aus und verursacht nebenbei mehr CO2. Mit dem Verzicht auf Kunststoffverpackungen wächst zudem der Anteil an beschädigten und verdorbenen Produkten. Sie müssen ersetzt und nachgefertigt werden. Kunststoff ist für die Logistik essenziell. Das macht das Material noch lange nicht zur einzig wahren Lösung. Oft reichen Paletten und Behälter aus Holz und Metall, Stoffsäcke und Schnüre aus. Nicht jede Palette muss mit Folie umwickelt werden. 

Mond und Mars in weiter Ferne

Blicken wir noch zu den Sternen. Mit der Erkundung des Weltraums hat die Menschheit die planetaren Grenzen überwunden. Seit dem Jungfernflug 1961 und der Mondlandung 1969 spielen Hightech-Kunststoffe eine wichtige Rolle für die Raumfahrt. Sie halten extremen Bedingungen stand, sind ultraleicht und schützen vor Strahlung. Heute sind Raketen und Satelliten ohne faserverstärkte Kunststoffe und synthetische Klebstoffe undenkbar.

Ob in der Luft, auf hoher See oder am Boden: Ganz ohne Kunststoff werden wir uns auch in Zukunft nicht bewegen. Vielleicht bereichern irgendwann Naturfasern wie Flachs und Hanf die Möglichkeiten. Bis dahin ist es noch ein weiter Weg und schon jetzt ist sicher: Bessere synthetische Werkstoffe – biobasiert und biologisch abbaubar – werden ebenfalls wichtig. Geforscht und entwickelt wird in alle Richtungen. Die Kunststoffindustrie ist vorne mit dabei.

Perspektivenwechsel: Externe Expertise

Gernot Liedke, DLR

Prof. Gernot Liedtke vom Institut für Verkehrsforschung am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) über Kunststoff im Verkehrswesen.

Welche Rolle spielen Kunststoffe für die Mobilität der Zukunft?

Der allgemeine Trend in der Automobilbranche geht in Richtung elektronische Fahrzeugkonzepte und autonomes Fahren. Bei der Produktion spielt dabei die Frage der Lebensdauer von Materialien eine wachsende Rolle. Kunststoffe bieten über Recycling und Refurbishment hier viel Potenzial. Ein Beispiel: Neuwagen sind die ersten 20.000 Kilometer „frisch“ und werden nach rund zehn Jahren durchgereicht. Bei 200.000 Kilometern ist das Fahrzeug meistens am Ende seiner Lebenszeit angekommen, weil bestimmte Komponenten nicht mehr funktionieren. Wobei viele andere weiterhin verwendbar wären. Heute werden zwar schon einzelne Karosserie-Elemente aus Kunststoff ausgetauscht – hier gibt es aber noch viel Luft nach oben. Modulare Konzepte mit Fokus auf Recycling könnten den Lebenszyklus der Fahrzeuge deutlich verlängern. Die ausgetauschten Teile kommen dann wieder in den Recyclingkreislauf statt auf den Schrottplatz.

Kunststoffe sind nicht nur wiederverwertbar, sondern auch besonders leicht. Wo zahlt sich das aus?

Bei Verbrennerfahrzeugen bedeutet weniger Gewicht weniger Treibstoffverbrauch. Bei rekuperierenden Elektrofahrzeugen (also der Vorgang der Energiezurückgewinnung durch das Bremsen) ist es sekundär, wie leicht ein Fahrzeug ist, und auf der Schiene braucht man aus Sicherheitsgründen sogar ein gewisses Gewicht. Anders sieht es jedoch bei kleinen autonomen Schienenfahrzeugen auf isolierten Nebenstrecken aus. Beim DLR haben wir mit dem NGT-TAXI ein innovatives Konzept für solche Fahrzeuge entwickelt. Weil diese autonomen Fahrzeuge im Inselbetrieb unterwegs sind, müssen sie nicht so stoßfest wie andere Fahrzeuge sein, was leichte Kunststoffteile für ihre Produktion interessant macht. Denkbar wären sogar ganze Fahrzeuge oder auch Bushaltestellen aus dem 3D-Drucker. Dann gäbe es auch keine zerbrochenen Glasscheiben mehr. Vielleicht setzen sich auch Bahnschwellen aus Kunststoff durch, denn heute darf das Holz aus Umweltschutzgründen nicht mehr mit Teer oder Bitumen konserviert werden.

Wo würden sich Kunststoffe als sinnvollere Option erweisen?

Bei der Innenraumgestaltung von öffentlichen Verkehrsmitteln wie Bussen oder Zügen, aber auch bei Pkws und Taxis gibt es Möglichkeiten, verstärkt mit Kunststoff zu arbeiten. Die Menschen legen hier nämlich besonders Wert auf Hygiene. Beispielsweise beobachten wir in der Verwendung von Sitzen den Trend hin zu gut abwaschbaren Hartschalensitzen statt Holzsitzen oder Sitzen mit Stoffoberflächen. Sauberer und sicherer wären zudem Haltegriffe aus Kunststoff statt Metall. Das Material gibt nach, da bekommt man nicht so schnell eine Beule. Ob die Ökobilanz von Kunststoff besser ist als jene von Holz oder Metall, weiß ich nicht. Sicher ist aber, dass sie durch Recycling besser wird. Gerade bei intensiver Nutzung wie im öffentlichen Verkehr lohnt sich der Umstieg auf Kunststoffkomponenten – wenn sie sortenrein und so leicht wiederverwertbar sind.

Wie schaut es beim autonomen Fahren aus?

Sogenannte automatisch-fahrende On-Demand-Fahrzeuge sind heute schon in San Francisco und in einigen Städten Chinas unterwegs. Diese elektrischen Robotaxis sind langfristig deutlich günstiger als herkömmliche Taxis und sie können 24 Stunden am Tag fahren. Sie werden also intensiv genutzt – und das von vielen Menschen. Hygiene spielt hier wie bei anderen Öffentlichen Verkehrsmitteln daher auch eine wichtige Rolle. Noch wichtiger ist aber ihre Lebensdauer, wobei wir wieder beim Thema Refurbishment und Kunststoff als optimalem Recyclingmaterial wären.

Welches Potenzial sehen Sie im Warenverkehr?

Warum müssen Seefracht-Container aus Metall und Pakete aus Karton sein, wenn es auch mit einem klugen Box-in-Box-Prinzip aus recyceltem Kunststoff machbar wäre? Sie sind stapelbar, gut gegen Hitze isoliert und wasserdicht. So ein System könnte viele Vorteile beim logistischen Handling bringen – und gleichzeitig Abfall reduzieren. Erste Startups wie reBOX aus Berlin führen den Mehrwegversand mit Kunststoffboxen in der Praxis ein. Es ist natürlich auch ein Aufwand. Das Retourensystem muss betrieben werden, es braucht Sammelstellen etc. Obwohl ökologisch sinnvoll, ist die Lösung noch nicht am Markt angekommen.

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