28. Oktober 2025

Kunststoff im Bau – unsichtbar, aber unentbehrlich

Was wäre, wenn wir alle Gebäude ohne jeden Kunststoff bauen würden? Teil 5 unserer Serie „Eine Welt ohne Kunststoff“ beschäftigt sich mit der Bauwirtschaft und Architektur.

Plastic insulators

Beton, Zement, Ziegel, Stein, Holz, Lehm und Stahl bilden das Grundgerüst fast aller Gebäude. Baustoffe tragen das Haus und schirmen dessen Innenräume ab. Sie bestimmen die Erscheinung des Bauwerks. Je nach Kulturraum, Alter und Funktion überwiegt der ein oder andere Baustoff. Eines verbindet seit Mitte des 20. Jahrhunderts alle Gebäude: Sie setzen auf bauphysikalisch starke Kunststofflösungen. Synthetische Werkstoffe haben natürliche Dämmmaterialien wie Wolle, Flachs, Hanf, Schilf, Kork oder Jute verdrängt.

Im kunststofffreien Haus erleben sie ein Revival. Mit Holzfaserplatten, Mineralschaum, Glas- und Steinwolle können Außenwände und Böden ganz gut gedämmt werden. Kalk, Lehm und Gipskarton eignen sich für Innenwände. Spätestens beim Dach endet der Traum. Ohne Dampfbremse geht es nicht. Wasserleitungen, Kabelkanäle, Stromversorgung, Beleuchtung und wasserdichte Sanitäranlagen stehen sowieso auf einem anderen Blatt. Beim Rohr führt schon aus gesundheitlichen Gründen kein Weg zurück zu Kupfer oder Blei.

Kanalanschluss schlägt Sickergrube

Das Wohnhaus ist ohne Kunststoffe nur mit Komfort-, Sicherheits- und Hygieneverlust realisierbar. Wer tauscht schon gerne Zentralheizung und Kanalanschluss gegen Holzofen und Sickergrube? In den eigenen vier Wänden ist der Verzicht vertretbar. Ganz anders sieht es im Arbeitsleben und bei öffentlichen Einrichtungen aus. Büro- und Betriebsgebäude, Schulen, Krankenhäuser oder Stadien ohne sichere Elektrik, Internetanschluss, effiziente Heizung und adäquate Dämmung sind überholt.

Die Errichtung ist ein Thema für sich. Baumaschinen wie Bagger und Kräne enthalten unzählige Kunststoffelemente und jede Menge Elektronik. Dasselbe gilt für Bohrmaschinen und Kreissägen. Wer nicht zu Fuß oder mit dem Ochsenkarren auf die Baustelle kommen will, nutzt Lkw und Lieferwagen. Im E-Fahrzeug steckt dank Batterie und Elektronik noch mehr Kunststoff als im Verbrenner. Bei der Baulogistik sorgt der Werkstoff für mehr Effizienz. Die Baustoffe werden gut sortiert, kompakt und leicht verpackt im Big Bag, Fass, Kübel und Kanister angeliefert. Bei Bedarf schützen Folien vor Wind und Wetter. 

Bessere Energiebilanz

Ob Dämmplatte, Dampfbremse, Folie, Fugenmasse, Kabel, Steckdose oder Rohr: Bauteile aus Kunststoff dichten Gebäude ab, transportieren (Ab-)Wasser und vernetzen die Technik. Sie halten die Wärme im Haus, verhindern Schimmel und schützen vor der Witterung. So steigern Kunststoffe die Energieeffizienz und verlängern die Lebensdauer von Bauwerken. Weitere Vorteile sind der geringe Preis und die starke CO2-Bilanz. Ohne Kunststoffe im Gebäude rücken die Klimaziele in weite Ferne. Zu den Umweltgründen gesellen sich soziale Faktoren. Die verringerten Errichtungs- und Betriebskosten ermöglichen leistbares Wohnen im großen Stil. 

Kreislaufwirtschaft im Bausektor

Bei den vielen Vorteilen von Kunststoff in der Bauwirtschaft dürfen wir die Probleme nicht übersehen. Kreislaufwirtschaft und Recycling müssen weltweit vorangetrieben werden. Die sortenreine Sammlung von Abfällen und Altkunststoffen auf der Baustelle verhindert Umweltschäden und spart Ressourcen. Sanierungen und Umbauten fördern wahre Schätze zu Tage. Gebrauchte Materialien können an anderer Stelle oder in anderer Form wiederverwendet werden. Bessere Konstruktionen und ein kluger Mix aus Kunststoffen und ökologischen Baustoffen begrenzen den Materialbedarf. Der technologische Fortschritt spielt eine wichtige Rolle: Verbesserte Kunststoffe minimieren Risiken für Mensch und Umwelt. 

Perspektivenwechsel: Externe Expertise

Professor Azra Korjenic

Prof. Azra Korjenic vom Institut für Werkstofftechnologie, Bauphysik und Bauökologie an der TU Wien über Kunststoff in der Bauwirtschaft. (Bild: Nini Tschavoll)

Welche Rolle spielen Kunststoffe in der modernen Bauwirtschaft und wo sind sie heute – Stichwort: Klimaziele – unerlässlich?

Kunststoffe haben natürlich viele wichtige Funktionen im Bauwesen, insbesondere wenn es um Energieeffizienz, Langlebigkeit und Ressourceneinsparung geht. Dämmstoffe, Fensterprofile, Abdichtungen, Rohrleitungen etc. tragen dazu bei, Energieverluste und Feuchteschäden zu minimieren und Gebäude dauerhaft funktionsfähig sowie wirtschaftlich betreibbar zu machen. Wenn wir über Klimaziele sprechen, müssen wir auch die Herstellung und das Ende des Lebenszyklus mitdenken – also von der Entnahme des Rohmaterials in der Natur bis zur Rückführung. In der Nutzungsphase helfen viele Kunststofflösungen, Emissionen zu reduzieren. In einer ganzheitlichen Betrachtung bleibt aber entscheidend, wie wir künftig mit Kunststoffen im Sinne der Kreislaufwirtschaft umgehen.

Baustoffe und -prozesse werden weiterentwickelt. Synthetische Materialien spielen in vielen Bereichen – von der Dämmung und Dichtung bis zur Sicherheit und Hygiene – eine wichtige Rolle. Wohin führt der Weg?

Wir stehen an einem Wendepunkt. Die Zukunft liegt nicht unbedingt darin, Kunststoffe komplett durch andere Materialien zu ersetzen, sondern sie intelligenter und ressourcenschonender einzusetzen. Dazu gehört: Mehr Recycling, mehr sortenreine Lösungen, mehr Digitalisierung von Materialströmen, aber auch die Entwicklung von biobasierten und langlebigeren Alternativen (die uns momentan für einige Anwendungen noch fehlen). Gleichzeitig sehen wir, dass traditionelle Baustoffe wie Holz, Lehm oder Naturfasern heute wieder neu gedacht und in modernen, hybriden Konstruktionen eingesetzt werden. Die Zukunft wird ein intelligentes Zusammenspiel sein, wo alle Materialien ihren Platz und ihre Funktion haben werden. Es geht darum, dass man die nicht ökologischen Materialien minimiert und nur dort einsetzt, wo keine passende Alternative da ist.

Kreislaufwirtschaft ist auch am Bau das große Ziel. Wo sind (noch) die größten Hürden und wie kann sie (kosten-)effizient betrieben werden?

Die größte Herausforderung bleibt nach wie vor die Praxis: auf der Baustelle, beim Rückbau, bei der Trennung der Materialien. Technisch wäre heute schon vieles möglich. Aber fehlende Standards, mangelnde Rücknahmesysteme und wirtschaftliche Anreize verhindern oft den konsequenten Ressourcenkreislauf. Ein Beispiel: Kunststofffenster oder Rohrleitungen lassen sich gut recyceln, wenn sie getrennt gesammelt werden. Aber dafür müssen schon beim Planen und Bauen die Weichen gestellt werden. Kreislauffähiges Bauen heißt auch: modular, demontierbar, dokumentiert. Hier sehe ich großes Potenzial – nicht nur ökologisch, sondern langfristig auch ökonomisch. Für mich als Forscherin ist klar: Kunststoff wird im Bau nicht komplett verschwinden. Wir müssen lernen, viel bewusster, sparsamer und intelligenter damit umzugehen.

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