Ohne Kunststoff kein Klimaschutz
Ein Interview mit Sylvia Hofinger, Geschäftsführerin des Fachverbands der Chemischen Industrie Österreichs, über Kunststoff, Kreislaufwirtschaft und Klimaschutz. Sie plädiert für eine faktenbasierte Diskussion und eine lösungsorientierte Zusammenarbeit entlang der gesamten Wertschöpfungskette.
CO2 gilt als Währung der Zukunft, Klimaneutralität ist das erklärte Ziel. Welche Maßnahmen ergreift die chemische Industrie, um ihren Fußabdruck zu verringern?
Was viele Menschen nicht wissen: Die Chemieindustrie hilft bei der Reduktion der Treibhausgase in sehr vielen Bereichen. Fast alle Green-Deal-Lösungen brauchen Stoffe und Produkte aus der chemischen Industrie: Sonnenkollektoren, Batterien für E-Mobilität, Windkraftanlagen bis hin zu Gebäudeisolierungen und leistungsstärkerer Elektronik. Auch Lebensmittelverpackungen, die für eine längere Haltbarkeit und damit für weniger Nahrungsmittelverschwendung sorgen, helfen, den CO2-Fußabdruck zu verringern. Die chemische Industrie ist also die Schlüsselindustrie für die Dekarbonisierung.
Auch beim Energieverbrauch in der Produktion ist die heimische Chemieindustrie seit langer Zeit auf einem guten Weg. Die prozessbedingten Treibhausgasemissionen sind seit 1990 um über 52 Prozent gesunken. Damit liegen wir im internationalen Vergleich an der Spitze. In Österreich werden bei der Herstellung chemischer Produkte lediglich 37 Tonnen CO2 pro Terajoule Energieverbrauch emittiert. Der EU-Schnitt liegt bei 61 Tonnen CO2. In den USA liegt er bei knapp 71 Tonnen und in China sogar bei 104 Tonnen.
Was kann Kunststoffrecycling zum Klimaschutz beitragen?
Ein wichtiger Schritt in Richtung Klimaneutralität ist die Entwicklung einer funktionierenden Kreislaufwirtschaft. In Österreich könnten wir durch eine Forcierung von Kunststoffrecycling jedes Jahr bis zu 2,4 Millionen Tonnen CO2 einsparen und gleichzeitig die benötigte Energie für die Produktion deutlich senken. Dazu laufen aktuell europaweit Forschungsprojekte, etwa im Bereich des chemischen Recyclings, bei dem bisher nicht wiederverwertbare Kunststoffabfälle in ihren Ursprungszustand zurückverwandelt und so für die Neuproduktion verfügbar gemacht werden.
Wie können höhere Recyclingquoten erreicht werden, wo sehen Sie hier die wichtigsten Stellschrauben?
Wir als Industrie wollen Rezyklate aus Kunststoffabfällen in die Herstellung neuer Produkte einfließen lassen. Und zwar stärker als bisher. Aktuell werden nur 25 Prozent des gesammelten Kunststoffs recycelt, wir hätten aber deutlich höhere Kapazitäten in der Produktion. Ein Grund dafür liegt nicht zuletzt darin, dass wir zu wenig sortenreinen Kunststoff für das Recycling erhalten. Wir müssen eine intelligente und ökologische Wertschöpfungskette von der Nutzung über die Sammlung bis hin zur Wiederverwertung schaffen. Dafür braucht es eine sachliche und zielorientierte Zusammenarbeit zwischen der Industrie, dem Handel, der Abfallwirtschaft sowie den Ländern und Gemeinden, um das Thema Recycling weiter zu optimieren. Ein bundesweit einheitliches Sammelsystem für alle Kunststoffabfälle wäre zum Beispiel schon ein Fortschritt, um die Recyclingquoten zu erhöhen. Auf europäischer Ebene ist eine EU-weite Anerkennung von Kunststoffrecycling als Klimaschutzmaßnahme entscheidend.
In der Kunststoffdebatte hört man oft den Ruf nach einer faktenbasierten Kommunikation. Worin sehen Sie den Ausweg aus der emotional geführten Diskussion hin zu einer objektiven Beurteilung von Materialien und ihren Umweltauswirkungen?
Leider wurde in der öffentlichen Betrachtung Kunststoff bisher vor allem mit Littering und Plastikinseln im Meer in Verbindung gebracht. Klar ist, Kunststoffe haben in der Umwelt nichts verloren. Wenn sie aber verantwortungsvoll eingesetzt und entsorgt werden, ermöglichen Kunststoffe in vielen Wirtschafts- und Alltagsbereichen erst unser modernes Leben. Das zu vermitteln ist ein erster Schritt hin zu einer ausgewogenen Diskussion.
Ein zweiter wichtiger Punkt ist die Versachlichung der Debatte durch wissenschaftliche Erkenntnisse. Betrachtet man die Ökobilanzen unterschiedlicher Verpackungen, zeigt sich, dass in vielen Bereichen Kunststoffe den anderen Materialen überlegen sind. Mehrwegkunststoffflaschen haben zum Beispiel den geringsten Klimafußabdruck, wie auch Umwelt-NGOs bestätigen. Auch bei der Analyse der Quellen von Plastikabfällen müssen mehr Fakten in die Diskussion einfließen. Über 90 Prozent der Plastikabfälle in Ozeanen haben ihren Ursprung in Asien und Afrika und etwa 50 Prozent davon sind Fischernetze und nicht Haushaltsmüll. Dies wird viel zu selten kommuniziert, ist aber wesentlich dafür, die richtigen Maßnahmen zu ergreifen.
Und damit sind wir schon beim nächsten Schritt: Last but not least müssen wir zeigen, wie Lösungen für diese Probleme aussehen können. Sei es die Forcierung von Kunststoffkreisläufen in Österreich und Europa oder die Unterstützung von Entwicklungsländern beim Aufbau einer funktionierenden Abfallwirtschaft. Auch die technologische Weiterentwicklung hin zu chemischem Recycling muss noch viel stärker kommuniziert werden.
Wird es eine Zukunft ohne Kunststoff geben, so wie es sich viele wünschen, oder ist der Wertstoff doch nicht wegzudenken?
Eine Zukunft ohne Kunststoff will ich mir gar nicht vorstellen – sie wäre ein Albtraum. Im letzten halben Jahrhundert haben sich Kunststoffe in vielen Lebensbereichen als beste Materialalternative erwiesen. Wohlstand, Komfort und Gesundheit, wie wir sie kennen, wären ohne sie nicht möglich. Denken Sie nur an die Medizin. Kunststoffe haben neben anderen Errungenschaften und Entwicklungen daran mitgewirkt, die Lebenserwartung zu erhöhen. Einerseits, weil Infektionen reduziert werden konnten, andererseits, weil viele Untersuchungs- und Behandlungsmethoden dadurch erst möglich wurden. Es gibt kaum mehr ein Gerät, bei dem nicht zumindest die äußere Hülle aus Kunststoffen besteht. Auch der Einsatz von Einmalprodukten, wie zum Beispiel Spritzen, Infusionsflaschen, Einmalhandschuhen oder Schutzkleidung, ist ohne Kunststoffe undenkbar. Informations- und Kommunikationstechnologien wären ohne Kunststoffe nicht möglich, dasselbe gilt für den Klimaschutz.
Kunststoffe sind heute High-Tech-Materialien, die zielgerichtet zur Lösung von Herausforderungen entwickelt werden. Ein sorgsamer Umgang mit diesen Produkten über den gesamten Lebenszyklus hinweg und die Wiederverwertung danach sind der Schlüssel dazu, unseren Lebensstandard erhalten und verbessern zu können sowie gleichzeitig den ökologischen Impact zu minimieren.
Über FCIO
Der Fachverband der Chemischen Industrie Österreichs (FCIO) ist die gesetzliche Interessenvertretung der chemischen Industrie in Österreich. Derzeit vertritt der Verband etwa 240 Unternehmen aus der chemischen Industrie, die neben der Kunststoff- und Pharmaindustrie auch die Produktion von organischen und anorganischen Chemikalien, Chemiefasern und Lacken umfassen. Mehr als 47.000 Beschäftigte in der chemischen Industrie haben 2019 Waren im Wert von über 16 Milliarden Euro hergestellt. Der FCIO setzt sich für einen ökonomisch, ökologisch und sozial nachhaltigen und attraktiven Chemiestandort Österreich mit einem forschungs- und technologiefreundlichen Umfeld ein, in dem die chemische Industrie mit ihrer Innovationskraft Lösungen für die zentralen gesellschaftlichen Herausforderungen entwickeln und liefern kann.
Sylvia Hofinger ist seit Juni 2011 Geschäftsführerin des FCIO. Zuvor war sie im Wirtschaftsministerium tätig, von 2003 bis 2006 als Leiterin der Abteilung Sektorale Unternehmenspolitik. Dabei war Hofinger unter anderem für den Themenkomplex Chemiepolitik zuständig, anschließend betreute sie als Kabinettsmitarbeiterin die Themen Unternehmens-, Umwelt- und Energiepolitik.
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